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Wie die Zeit die Technik verändert


Mobilfunk: Von der Innovation zum Überwachungsinstrument

Die Ortung von Mobiltelephonen, sogenannten Handys, scheint immer mehr in Mode zu kommen. Zunächst eingeführt als harmloser Dienst zum Aufspüren gestohlener Kraftfahrzeuge, wird nun auch offensiv dafür geworben, durch die Handy-Ortung Kinder und Ehepartner zu überwachen. Eltern können mit Hilfe der (kostenpflichtigen) Ortung des Fernsprechapparates feststellen, ob sich ihr Kind tatsächlich in der Schule befindet oder nicht.

Bisher waren es häufig die Kinder und Jugendlichen selbst, die ihren Eltern einzureden versuchten, daß sie ohne Mitführen eines Mobiltelephons gefährdet seien. Das aktuelle Handy der jeweils neuesten Generation hat die Markenklamotten als Statussymbol abgelöst oder ergänzt, somit muß man den Eltern nun Argumente bringen, warum so etwas jetzt unbedingt gekauft werden muß. Da kam es ganz recht, den teuren per Funk angesteuerten Telephonapparat als eine Art Kontrollinstanz schmackhaft machen zu können. Doch inzwischen sind es nicht mehr die Kinder selbst, sondern es ist eine wachsende Zahl von Dienstleister des "Location-Based-Service", die den Eltern weißmachen wollen, ihre Kinder müssten grundsätzlich überwacht werden.

Glaubt man den Begründungen dieser Dienstleister, so muß ein Kind oder ein Jugendlicher, dessen Handy nicht von den Eltern geortet wird, fast zwangsläufig auf die schiefe Bahn geraten. Ohne die Überwachung wird niemand mehr zur Schule gehen, sondern sich statt dessen bei zwielichtigen Freunden herumtreiben, so die klare Botschaft. Nur mit dem auf der modernen Mobilfunktechnik basierenden Überwachung gibt es Sicherheit für das Kind, wie kann man als Eltern da überhaupt noch an der Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen zweifeln?

Nun muß ich mich zwangsläufig fragen, wie ich ohne Mobiltelephon meine Kindheit unbeschadet überstehen konnte. Wie kann es sein, daß ich zur Schule gegangen und dort etwas gelernt habe, ohne daß meine Eltern jederzeit meinen Aufenthaltsort kontrollieren konnten?

Online-Dienste und Mobilfunk gab es für den Durchschnittsbürger nicht. Immerhin existierte zu meiner Schulzeit bereits das Mobilfunknetz B/B2, das auf bundesweit 27000 Teilnehmer ausgelegt war. Es war ein Sprechfunknetz für den Einbau in teure Kraftfahrzeuge. Bei meinen Eltern stand ein simples Telephon mit Wählscheibe im Flur, dessen Benutzung nicht selbstverständlich war. Es gab auch Klassenkameraden, die hatten gar kein Telephon zu Hause.

In die Grundschule ging es zunächst noch zu Fuß, später fuhr ich mit dem Schulbus. Zum Gymnasium ging es mit Fahrrad oder Linienbus. Ich hatte eines Schüler-Monatskarte des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr für die Wabe 386, die die Orte Dortmund-Aplerbeck, Berghofen, Sölde und Lichtendorf umfaßt. Als Schüler ging man morgens aus dem Haus und kam am frühen Nachmittag wieder zu Hause an. Über das, was dazwischen passierte, hatten die Eltern keinerlei unmittelbare Kontrolle, erst recht hatten sie keine Möglichkeit, jemanden zu orten. Bewertet man diese Situation mit den heutigen Aussagen von "Location-Base-Service"-Dienstleistern, so hätten wir alle Schulschwänzer und später Schwerkriminelle werden müssen.

Doch es kam noch dicker: Wir schafften es sogar, uns ohne die Möglichkeit der jederzeitigen telephonischen Kontaktaufnahme für den Nachmittag zu verabreden und uns wirklich zu treffen! Sich unterwegs noch mal schnell eine Textnachricht zu schreiben oder gar anzurufen, ging nicht. Statt dessen wurden Verabredungen einfach eingehalten. Und wenn man jemand zu spät kam, wurde einfach gewartet. Kontrollanrufe der Eltern gab es gar nicht. Wo hätten Sie auch anrufen sollen, wenn wir beispielsweise mit Rollschuhen oder auf dem Fahrrad durch die Gegend zogen? Unsere Eltern mussten darauf vertrauen, daß wir schon rechtzeitig zum Abendessen wieder zu Hause sind. Und das hat funktioniert.

Wir hatten unseren Spaß und waren bei manchen Dingen sicherlich auch froh, daß unsere Eltern unseren Aufenthaltsort nicht kannten, hätten sie sich doch zu viele unnötige Sorgen gemacht.

Und es sind heutzutage nicht nur die Eltern, die sich Sorgen machen sollen. Auch die Eifersucht gegenüber dem Ehepartner wird von klugen Strategen der Marketingfirmen geschürt. Studien belegen, wie weit verbreitet Untreue ist, und als moderner Liebesbeweis wird die Genehmigung zur gegenseitigen Überwachung gepriesen. Die Liebe zwischen Menschen wird zu einem Kalkül, wie weit man sich mißtrauen und überwachen muß. Neu am Technikmarkt auftauchende Dienstleister verdienen gut an der Einschränkung von Vertrauen und Freiheit.

Dabei war das mobile Telephonieren eigentlich eine interessante Erfindung. Dieses Fernsprechdingens, was man üblicherweise lediglich daheim stehen hatte, nun auch mitnehmen zu können – das hatte schon was! Ein Hauch von Fortschritt und Luxus umwehte das Mobiltelephon, das es seinem Besitzer ermöglichte, auch unterwegs Telephongespräche aufbauen und entgegegennehmen zu können.

Es war das Jahr 1992, als ich mir mein ersten Mobiltelephon gekauft habe. Damals begann als erster privater Anbieter von Telekommunikationsleistungen die Firma Mannesmann, ein Mobilfunknetz aufzubauen, das D2-Netz (heute betrieben von Vodafone). Als technisch interessierter Mensch fand ich die Vorstellung interessant, unterwegs Telephongespräche führen zu können. Ich war seit kurzem nicht nur Teilnehmer, sondern sogar Anbieter im Bildschirmtext-System der Deutschen Bundespost (Btx), warum sollte ich nicht auch Teilnehmer am Mobilfunk werden? Und aufgrund der geänderten Marktsituation erschien dies auch für den Durchschnittsbürger finanzierbar.

Die Dortmunder Niederlassung der Firma Mannesmann Mobilfunk befand sich damals noch in einer Holzbaracke auf dem Betriebsgelände von Mannesmann Röhrenbau auf dem Industriegelände am Alten Hellweg zwischen Dortmund-Germania (eine Zechensiedlung bei Lütgendortmund) und Dorstfeld. Der Kundenberater von Mannesmann brachte größtes Erstaunen zum Ausdruck, als ihm im Verlaufe des Beratungsgesprächs klar wurde, daß ich kein Kraftfahrzeug besitze. Damals wurden die Begriffe "Mobiltelephon" und "Autotelephon" noch als deckungsgleich angesehen. Für die D-Netze gab es außer Aparaturen zum Festeinbau in Fahrzeuge schwere tragbare Telephone mit Schultergurt zum Umhängen, für das C-Netz der Deutschen Bundespost hingegen gab es mit den Modellen "Pocky" und "C-Mikro" bereits zwei Apparate in der Größe üblicher Sprechfunkgeräte.

Im Gegensatz zu den D-Netzen war im C-Netz die Rufumleitung zu beliebigen Inlandszielen kostenlos. Außerdem war der Preis für das Gerät C-Mikro gerade von rund 1500,- DM auf etwa 700,- DM heruntergesetzt worden. Also entschied ich mich für das C-Netz. Bei Fernmeldetechnik Petri in Lütgendortmund erwarb ich das C-Mikro. Mit diesem Apparat ging ich zu dem Fahrradgeschäft "das rad", der dafür bekannt ist, alle Spezialwünsche rund um das Thema Fahrrad erfüllen zu können, und fragte, wie ich diesen Telephonapparat am Fahrradlenker befestigen kann. Der Kundenberater bei "das rad" schaute mich kurz an und sagte dann zu mir "Schmeiß es weg, dann bist Du frei".

Ich habe es dann aber doch geschafft, durch Auseinandernehmen des Akkus eine Halterung (die eigentlich für batteriebetriebene Lampen gedacht war) anzuschrauben und das Gerät damit an Fahrradlenker einzuhaken. Frei (im Sinne der Freiheit, wie sie der Verkäufer bei "das rad" gemeint hatte) war ich damals auch mit dem Telephon. Denn es war keine Selbstverständlichkeit, mit einem Teleponapparat unterwegs zu sein, so daß niemand als Selbstverständlichkeit erwartete, daß ich ständig erreichbar war. Es war meine eigene Entscheidung, unterwegs angerufen werden zu können, die ich gegen technikfeindliche Bekannte verteidigen musste.

Inzwischen sind rund 15 Jahre vergangen. Das C-Netz wurde zum Jahresende 2000 abgeschaltet, die Zugangsmöglichkeiten zu Bildschirmtext schrittweise reduziert. Und das mobile Fernsprechgerät hat dank D- und E-Netze keinen Hauch von Fortschritt und Luxus mehr, sondern ist ein Alltagsgegenstand. Es hängt bei mir nicht mehr am Fahrradlenker, sondern steckt in der Tasche und wird immer nur noch dann eingeschaltet, wenn ich es im konkreten Einzelfall benötige. Der Luxus besteht heute darin, den Apparat wie eine überall und jederzeit verfügbare Telephonzelle mitzunehmen, im Regelfall darüber aber weder jederzeit erreichbar noch lokalisierbar zu sein. Wegwerfen, wie der Mann bei "das rad" mir empfahl, werde ich den Apparat nicht – jedenfalls nicht, solange ich die Kontrolle darüber habe, wann er ein- und wann er ausgeschaltet ist.

Heutzutage muß ich nicht mehr meiner Umgebung erklären, warum ich so ein Gerät besitze. Statt dessen muß ich begründen, warum ich kaum erreichbar bin. Die 15 Jahre haben ausgereicht, um aus der Technik, die für den Menschen da sein soll, ein gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, in dem der Mensch für die Technik da sein soll.

Zum Glück gibt es inzwischen Web und E-Mail, also Kommunikationsmöglichkeiten, bei denen man nicht unmittelbar antworten muß. So leiste ich mir inzwischen auch den Luxus, mein gewöhnliches Telephon zu Hause die meisten Zeit ausgeschaltet zu lassen. Wer mich erreichen will, kann mir eine E-Mail schreiben (die ich dann lese, wenn ich dazu Zeit finde), und denjenigen, mit dem ich unbedingt sprechen will, den kann ich meistens auch persönlich treffen.

 

 

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